Stop making sense

Die Überschrift ist der Titel eines Musikfilms der Rockgruppe „Talking Heads“, einer Band, die ich früher sehr gerne gehört habe. Warum ich ihn aufgegriffen habe, dazu komme ich später in diesem Beitrag zurück.

Affekt-Vorhersagen: Wir Menschen liegen oft meilenweit daneben, wenn wir einschätzen sollen, ob und wie lange uns ein zukünftiges Ereignis glücklich bzw. unglücklich machen wird. Wenn wir satt sind, unterschätzen wir unseren Appetit am nächsten Morgen, wenn wir hungrig einkaufen gehen, überschätzen wir unseren tatsächlichen Bedarf an Lebensmitteln.

Drogensüchtige unterschätzen regelmäßig ihr späteres Verlangen nach der Droge, wenn sie sie gerade konsumiert haben und man überschätzt, wie unglücklich man zwei Monate nach einer Kündigung sein wird.

Warum gibt es diesen Effekt? Es gibt dazu zwei Lösungsansätze. Der erste ist, dass wir überschätzen, wie lange oder wie intensiv wir zukünftig über das Ereignis nachdenken werden. Das liegt daran, dass wir momentan unsere Aufmerksamkeit eben auf dieses eine zukünftige Ereignis lenken. Im Arbeitsgedächtnis ist wenig Platz, ca. 1 bis 4 Punkte können wir damit maximal verarbeiten, insofern kann man sich vorstellen, dass man total vernachlässigt, was man denken wird, wenn das Ereignis eingetroffen ist. Nehmen wir einmal an, wir stellen uns vor, wie wir uns freuen würden, wenn Deutschland die WM gewinnt. Die Freude ist meist kürzer als man denkt, bald treten andere Inhalte ins Arbeitsgedächtnis: Das Auto ist kaputt, man hat Stress bei der Arbeit, die Frist bis zur Prüfungsvorleistung im Studium läuft ab usw.

Der zweite Ansatz ist der, dass wir unser Vermögen unterschätzen, uns „einen Reim“ auf eine Sache zu machen, also wie wir ein Ereignis nachträglich interpretieren. Hier kommt das „Sensemaking“ ins Spiel, was man mit „Sinnfindung“ übersetzen könnte. Das bedeutet, dass man im Nachhinein einen Sinn in dem Geschehenen sieht oder konstruiert, sodass dieses irgendwie erklärbar wird.

Sensemaking: Sensemaking hat nicht unbedingt etwas mit Schicksalsgläubigkeit zu tun, ebenso kann es sein, dass man etwas ganz neutral als Glück oder Pech bezeichnet. Dann sucht man quasi das Glück im Unglück. Beispielsweise denkt man sich nach einem Unfall, dass z.B. die Familie nun wieder enger zusammen wächst; dass der Unfall eben Dinge nach sich zieht, die das Leben wieder zu einer kohärenten, in sich stimmigen Sache machen.

Nehmen wir einmal an, ich würde dir einen Euro schenken. Was glaubst du, würde dich fünf Minuten später glücklicher machen? Wenn ich dir sagen würde, warum du ihn bekommen hast, oder wenn ich dir den Grund nicht sage? Es gibt ein psychologisches Experiment dazu. Die meisten sagten, sie würden glücklicher sein, wenn sie den Grund wüßten, tatsächlich war es aber genau umgekehrt. Die größere Freude entsteht also, wenn Sensemaking-Prozesse aktiv sind.

Sensenmaking verläuft größtenteils unbewusst: Der Prozess des Sensemaking vollzieht sich größtenteis außerhalb unseres Bewusstseins. D.h., wir finden oder erfinden den Sinn eines Ereignisses ohne bewusst darüber nachzudenken. Würden wir es absichtlich, d.h. bewusst machen, beispielsweise wenn wir uns einreden, dass der Expartner sowieso hässlich und strohdumm gewesen ist, um besser über die Trennung hinwegzukommen, dann klappt es nicht.

Stop making sense? Die unbewusste Maschinerie lässt sich nicht stoppen. Sie liefert uns im Nachhinein Gründe, warum etwas so oder so geschehen ist. Aus der Sicht eines Evolutionsbiologen hat diese Sinnfindung natürlich einen Sinn, sie schützt uns vor Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit (was wiederum ein Beispiel für Sensemaking ist). Andererseits muss man sich bewusst machen, dass uns unser Gehirn unbewusst etwas vormacht, aber das ist ein infiniter Regress, es sei denn, man kann sich Unbewusstes bewusst machen, und das ist wohl eher (k)ein Problem für die Nachfolger von Sigmund Freud.

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